ESG-Kriterien bei Immobilien: Was Eigentümer & Investoren wissen müssen

Die Immobilienbranche erlebt derzeit einen fundamentalen Paradigmenwechsel. Was gestern noch als freiwilliges Engagement galt, entwickelt sich heute zur unverzichtbaren Voraussetzung für erfolgreiche Investments und langfristige Werthaltigkeit. ESG-Kriterien – Environmental, Social und Governance, sind längst keine abstrakte Managementvokabel mehr, sondern bestimmen konkret über Finanzierungskonditionen, Verkehrswerte und Marktgängigkeit von Immobilien. Dabei steht der Sektor vor einer besonderen Herausforderung:

Mit rund 40 Prozent der CO2-Emissionen trägt die Immobilienwirtschaft erheblich zum Klimawandel bei. Gleichzeitig drohen Objekten, die ESG-Standards nicht erfüllen, drastische Wertabschläge von bis zu 30 Prozent. Umgekehrt profitieren nachhaltige Immobilien von höheren Verkaufspreisen, besseren Finanzierungskonditionen und stabiler Nachfrage. Für Eigentümer und Investoren stellt sich daher nicht mehr die Frage, ob sie sich mit ESG beschäftigen sollten, sondern wie schnell sie handeln müssen, um ihre Immobilien zukunftssicher aufzustellen.

In diesem Artikel:

Was sind ESG-Kriterien in der Immobilienwirtschaft?

ESG ist ein umfassendes Bewertungssystem, das Nachhaltigkeit messbar und vergleichbar macht. Die drei Säulen umfassen verschiedene Anforderungsbereiche, die gemeinsam den Nachhaltigkeitsstandard einer Immobilie definieren.

  • Environmental (Umwelt): Der ökologische Aspekt betrifft den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie. Zentrale Faktoren sind Energieeffizienz, CO2-Emissionen, der Einsatz erneuerbarer Energien sowie der Ressourcen- und Wasserverbrauch. Auch die Kreislaufwirtschaft, also die Verwendung nachhaltiger Baumaterialien und die Möglichkeit zur Wiederverwertung, spielt eine wichtige Rolle. Für Eigentümer bedeutet dies: Eine Immobilie mit veralteter Heiztechnik, schlechter Dämmung oder hohem Energieverbrauch wird zunehmend als Risikoanlage eingestuft.
  • Social (Soziales): Die soziale Dimension umfasst alle Aspekte, die das Wohlbefinden von Nutzern und Anwohnern betreffen. Dazu zählen Barrierefreiheit, Gesundheitsschutz, Aufenthaltsqualität und Nutzerkomfort. Auch die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel, die kommunale Infrastruktur und faire Mietmodelle fließen in die Bewertung ein. Bei Wohnimmobilien, Pflegeeinrichtungen oder öffentlich genutzten Gebäuden sind diese Faktoren besonders relevant für die langfristige Werthaltigkeit.
  • Governance (Unternehmensführung): Dieser Bereich betrifft die Transparenz und ethische Ausrichtung in der Unternehmensführung. Compliance-Strukturen, Aufsichtsgremien, Diversität in Führungsebenen und ein nachvollziehbares Risikomanagement sind zentrale Kriterien. Für Immobilienunternehmen bedeutet eine gute Governance-Bewertung erhöhtes Vertrauen bei Investoren, Banken und Behörden.

Rechtliche Grundlagen und regulatorische Anforderungen

Die EU hat mit mehreren Verordnungen klare Rahmenbedingungen für ESG-konforme Immobilien geschaffen, die in den kommenden Jahren schrittweise verschärft werden.

EU-Taxonomie: Die Taxonomieverordnung definiert, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als ökologisch nachhaltig gelten. Immobilien müssen zu mindestens einem der sechs Umweltziele beitragen, dürfen keines dieser Ziele wesentlich beeinträchtigen und müssen Mindestschutzbestimmungen einhalten. Für Neubauten gelten strenge Energieeffizienzanforderungen, während Bestandsimmobilien Sanierungsmaßnahmen nachweisen müssen.

CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive): Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wird gestaffelt eingeführt. Für das Geschäftsjahr 2024 sind zunächst große kapitalmarktorientierte Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern berichtspflichtig, die bereits unter die frühere Non-Financial Reporting Directive (NFRD) fielen. Durch die im April 2025 beschlossene "Stop-the-Clock"-Richtlinie wurden die Fristen für weitere Unternehmen verschoben: Alle anderen großen Unternehmen müssen ab dem Geschäftsjahr 2027 berichten, börsennotierte kleine und mittlere Unternehmen ab dem Geschäftsjahr 2028. Die EU-Kommission plant zudem, den Anwendungsbereich auf Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten zu reduzieren. In Deutschland verzögert sich die nationale Umsetzung, ein Referentenentwurf wurde erst im Juli 2025 vorgelegt. Die Berichtspflicht erfordert eine umfassende Dokumentation aller Nachhaltigkeitsmaßnahmen nach den European Sustainability Reporting Standards (ESRS).

EPBD (EU-Gebäuderichtlinie): Die im Mai 2024 in Kraft getretene Neufassung der Energy Performance of Buildings Directive muss bis Mai 2026 in nationales Recht umgesetzt werden. Die Richtlinie unterscheidet klar zwischen Wohn- und Nichtwohngebäuden. Für Wohngebäude gibt es keine direkte Sanierungspflicht auf Objektebene, sondern nationale Reduktionsziele: Der durchschnittliche Primärenergieverbrauch des gesamten Wohngebäudebestands soll bis 2030 um mindestens 16 Prozent und bis 2035 um 20 bis 22 Prozent sinken. Mindestens 55 Prozent dieser Einsparungen müssen durch Renovierung der energetisch schlechtesten Gebäude erreicht werden. Für Nichtwohngebäude gelten hingegen verbindliche Mindesteffizienzstandards (MEPS): Die energetisch schlechtesten 16 Prozent müssen bis 2030 und die schlechtesten 26 Prozent bis 2033 renoviert werden. Alle Neubauten müssen ab 2030 Nullemissionsgebäude sein, öffentliche Neubauten bereits ab 2028.

Nationale Vorgaben: In Deutschland verschärfen das Gebäudeenergiegesetz (GEG) und das Klimaschutzgesetz die Anforderungen kontinuierlich. Neubauten benötigen vielfach bereits heute Solaranlagen, viele Bundesländer haben eigene Solarpflichten eingeführt. Die EPBD fordert zudem eine gestaffelte Solarpflicht: ab Ende 2026 für neue öffentliche Gebäude und Nichtwohngebäude über 250 Quadratmeter, ab Ende 2029 für neue Wohngebäude. Deutschland strebt Klimaneutralität bis 2045 an, fünf Jahre vor dem EU-Ziel.

ESG-Scoring: Bewertungssysteme für Immobilien

Um ESG-Konformität messbar zu machen, haben sich standardisierte Bewertungssysteme etabliert. In Deutschland setzt sich zunehmend das ECORE-Scoring als Branchenstandard durch.

ECORE (ESG Circle of Real Estate): Dieses 2020 entwickelte Bewertungssystem bewertet Immobilien anhand einer Skala von null bis 100 Punkten. Die Bewertung berücksichtigt alle relevanten Regelungen, Verordnungen, Gesetze und bestehende Zertifikate. Das System gliedert sich in die Bereiche Governance, Verbräuche und Emissionen sowie Asset Check. Je höher der Score, desto besser schneidet die Immobilie bei Investoren, Banken und Mietern ab.

Gebäudezertifizierungen: Neben dem ECORE-Scoring existieren etablierte Zertifizierungssysteme wie DGNB, LEED und BREEAM. Diese bewerten die Nachhaltigkeitsleistung einzelner Immobilien nach festen Kriterien. Die DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) vergibt Gütesiegel in vier Stufen von Bronze bis Platin und berücksichtigt ökologische, soziale und ökonomische Faktoren.

Auswirkungen auf die Immobilienbewertung

ESG-Kriterien beeinflussen zunehmend die professionelle Wertermittlung von Immobilien. Bei der Erstellung eines Verkehrswertgutachtens müssen Sachverständige ESG-Faktoren berücksichtigen.

  • Direkte Werteffekte: Immobilien mit guter Energieeffizienz und niedrigen Betriebskosten erzielen höhere Mieteinnahmen und Verkaufspreise. Studien zeigen, dass nachhaltige Immobilien im Durchschnitt einen um 10 bis 20 Prozent höheren Marktwert erreichen. Umgekehrt drohen nicht-konformen Objekten Wertabschläge von bis zu 30 Prozent, da Sanierungskosten einkalkuliert werden müssen.
  • Finanzierungskonditionen: Banken vergeben zunehmend günstigere Kredite für ESG-konforme Immobilien. Green Loans und nachhaltigkeitsbezogene Finanzierungen bieten niedrigere Zinssätze und bessere Konditionen. Immobilien mit schlechtem ESG-Rating können hingegen Schwierigkeiten bei der Finanzierung bekommen.
  • Marktgängigkeit: Die Nachfrage nach nachhaltigen Immobilien steigt kontinuierlich. Institutionelle Investoren wie Fonds, Versicherungen und Pensionskassen berücksichtigen ESG-Kriterien verpflichtend bei ihren Anlageentscheidungen. Multinationale Unternehmen fordern bereits ESG-Zertifizierungen bei Anmietentscheidungen.
  • Berücksichtigung im Ertragswertverfahren: Bei der Wertermittlung nach dem Ertragswertverfahren fließen ESG-Faktoren in mehrere Parameter ein. Höhere Energiekosten bei ineffizienten Gebäuden verringern den Reinertrag. Zukünftige Sanierungskosten müssen als Wertminderung berücksichtigt werden. Auch der Liegenschaftszinssatz kann für nachhaltige Immobilien niedriger angesetzt werden, was zu einer höheren Bewertung führt.

Praktische Herausforderungen für Eigentümer

Die Umsetzung von ESG-Anforderungen stellt Immobilieneigentümer vor mehrere Herausforderungen, die frühzeitige Planung erfordern.

Datenerfassung und -management: Ein aussagekräftiges ESG-Reporting erfordert strukturierte Datenerfassung. Relevante Informationen zu Energieverbrauch, Emissionen, Wasserverbrauch und sozialen Faktoren müssen kontinuierlich gesammelt und in einer Datenbank gespeichert werden. Der Aufbau eines Informationssystems kann bis zu zwei Jahre dauern. Digitale Tools vereinfachen den Prozess, indem sie Daten direkt bei Immobilienbegehungen erfassen.

Investitionskosten: Die energetische Sanierung von Bestandsimmobilien erfordert erhebliche Investitionen. Allerdings bieten staatliche Förderprogramme wie die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) finanzielle Unterstützung. Zudem amortisieren sich Investitionen durch geringere Betriebskosten und höhere Verkehrswerte.

Kostendruck durch CO2-Bepreisung: Ein mittelgroßes Immobilienunternehmen mit 5.000 Wohneinheiten, das jährlich 40 Kilogramm CO2 pro Quadratmeter emittiert, verursacht einen CO2-Fußabdruck von etwa 16.000 Tonnen. Bei einer von Experten geschätzten CO2-Bepreisung von rund 100 Euro pro Tonne im Jahr 2030 entstehen jährliche Kosten von 1,6 Millionen Euro, wenn keine Emissionsreduktion erfolgt. Diese Kosten können nicht einfach auf Mieter umgelegt werden. Der nationale CO2-Preis liegt 2025 bei 55 Euro pro Tonne und geht ab 2027 in den europäischen Emissionshandel ETS II über.

Chancen und Mehrwerte durch ESG-Konformität

Trotz der Herausforderungen bietet ESG-Konformität erhebliche Vorteile, die langfristig orientierte Investoren nutzen sollten.

Wertsteigerung: Immobilien mit gutem ESG-Rating erzielen nachweislich höhere Verkaufspreise und stabilere Mieteinnahmen. Die langfristige Werthaltigkeit ist besser abgesichert, da zukünftige regulatorische Anforderungen bereits erfüllt sind.

Reduzierte Betriebskosten: Energieeffiziente Immobilien verursachen geringere Nebenkosten. Photovoltaikanlagen, moderne Dämmung und effiziente Heiztechnik senken die Energieausgaben erheblich.

Zugang zu Kapital: ESG-konforme Immobilien profitieren von besseren Finanzierungskonditionen und erweiterten Investorennetzwerken. Nachhaltigkeitsfonds und institutionelle Anleger suchen gezielt nach ESG-konformen Assets.

Zukunftssicherheit: Die regulatorischen Anforderungen werden kontinuierlich verschärft. Wer frühzeitig in ESG-Konformität investiert, vermeidet spätere Zwangssanierungen und Wertabschläge. Die Immobilie bleibt langfristig marktfähig und attraktiv für Mieter und Käufer.

Praktische Schritte zur ESG-Konformität

Für Eigentümer, die ihre Immobilie ESG-konform gestalten möchten, empfehlen sich folgende Maßnahmen, die systematisch aufeinander aufbauen.

  1. Bestandsaufnahme: Erfassung des aktuellen Zustands durch ein professionelles Verkehrswertgutachten unter Berücksichtigung von ESG-Faktoren. Ein Energieausweis liefert erste Hinweise auf den energetischen Zustand.
  2. Sanierungsplanung: Entwicklung eines Maßnahmenkatalogs zur Verbesserung der Energieeffizienz. Dazu gehören Dämmung, moderne Heiztechnik, Solaranlagen und wassersparende Installationen.
  3. Förderungen nutzen: Prüfung verfügbarer Förderprogramme des Bundes und der Länder. Die KfW bietet attraktive Finanzierungen für energetische Sanierungen.
  4. Zertifizierung anstreben: Einholung anerkannter Nachhaltigkeitszertifikate wie DGNB oder Teilnahme am ECORE-Scoring zur Dokumentation der ESG-Konformität.
  5. Kontinuierliches Monitoring: Etablierung eines Systems zur regelmäßigen Erfassung und Auswertung relevanter ESG-Daten.

Zusammenfassend

ESG-Kriterien sind kein vorübergehender Trend, sondern bestimmen die Zukunft der Immobilienwirtschaft. Die regulatorischen Anforderungen werden kontinuierlich verschärft, während gleichzeitig Investoren, Banken und Mieter nachhaltigen Immobilien den Vorzug geben. Immobilien, die ESG-Standards nicht erfüllen, drohen erhebliche Wertabschläge und eingeschränkte Marktgängigkeit.

Für Eigentümer und Investoren bedeutet dies: Frühzeitiges Handeln sichert langfristige Werthaltigkeit, reduziert Betriebskosten und verbessert die Finanzierbarkeit. Eine professionelle Immobilienbewertung unter Berücksichtigung von ESG-Faktoren ist der erste Schritt zur Einschätzung des Handlungsbedarfs. SCHIFFER Immobiliensachverständige unterstützt Sie mit gerichtsfesten Gutachten, die alle relevanten Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigen.

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