Vom Kraftstoffvertrieb zum Convenience-Konzept
Tankstellen haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt. Während früher der reine Kraftstoffverkauf im Mittelpunkt stand, entwickeln sich moderne Tankstellen zunehmend zu Convenience Stores mit angeschlossenem Kraftstoffvertrieb. Diese Transformation verändert auch die Anforderungen an die Immobilienbewertung grundlegend.
Umsatzquellen moderner Tankstellen
Die Ertragskraft einer Tankstelle speist sich heute aus mehreren Geschäftsfeldern:
- Kraftstoff und Fahrzeugservices bilden nach wie vor das Kernsegment. Hierzu zählen der Vertrieb von Benzin, Diesel, Autogas oder Strom, angeschlossene Werkstattleistungen, Fahrzeugwäsche sowie der Verkauf von Autozubehör.
- Einzelhandel gewinnt stetig an Bedeutung. Das Sortiment umfasst typischerweise Tabakwaren, Getränke, Snacks, Zeitschriften sowie Telefon- und Gutscheinkarten. Dieser Bereich trägt oft überproportional zum Gesamtgewinn bei.
- Gastronomische Angebote reichen vom einfachen Kaffeeangebot über Backwaren bis hin zu vollwertigen Bistro-Konzepten mit warmen Speisen.
- Zusatzdienstleistungen wie Paketshops, Geldautomaten oder Vignettenverkauf runden das Angebot ab und erhöhen die Frequenz.
Diese Diversifikation ist für die Bewertung von zentraler Bedeutung, da sie unterschiedliche Pachterträge und Risikostrukturen mit sich bringt.
Rechtliche und technische Rahmenbedingungen
Anforderungen an Standort und Grundstück
Für den wirtschaftlichen Erfolg einer Tankstelle sind bestimmte Standortkriterien essentiell. Das Einzugsgebiet sollte mindestens 10.000 Einwohner umfassen, idealerweise liegt die Tankstelle an hochfrequentierten Pendlerstrecken mit über 25.000 Kraftfahrzeugen täglich.
Die Grundstücksgröße spielt eine entscheidende Rolle. Für ein zeitgemäßes Konzept mit Shop, Serviceangeboten und Waschanlage sind mindestens 2.500 Quadratmeter erforderlich. Bei LKW-Verkehr sollten 5.000 Quadratmeter oder mehr eingeplant werden.
Optimal sind rechtsseitig gelegene Grundstücke an Ein- und Ausfallstraßen mit guter Sichtbarkeit und problemloser An- und Abfahrt. Eine Straßenfront von über 70 Metern erleichtert die Zufahrt auch für größere Fahrzeuge.
Genehmigungen und Rechtsvorschriften
Der Betrieb einer Tankstelle erfordert umfangreiche Genehmigungen. Neben der Baugenehmigung gemäß Baugesetzbuch und Baunutzungsverordnung ist insbesondere die Betriebsgenehmigung nach § 12 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) erforderlich. Tankstellen mit einem Jahresdurchsatz von über 500 Kubikmetern Benzin oder 2.500 Kubikmetern Diesel gelten als genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem BImSchG. Zusätzlich sind Genehmigungen der Bundesimmissionsschutzverordnungen erforderlich. Hinzu kommen Auflagen des Wasserwirtschaftsamtes, der Straßenverkehrsbehörde und des Eichamtes.
Besondere Beachtung verdient das Tankstellenrecht. Diese beschränkte persönliche Dienstbarkeit wird in Abteilung II des Grundbuchs eingetragen und sichert Mineralölgesellschaften das Recht zur Lagerung und zum Vertrieb von Kraft- und Schmierstoffen auf fremden Grundstücken. Die dingliche Natur dieses Rechts stellt ein erhebliches Wertrisiko dar, da es unabhängig vom Pachtvertrag besteht. Bei Zwangsversteigerungen bleibt das Tankstellenrecht gegenüber nachrangigen Belastungen vorrangig bestehen, sofern eine Löschung nicht möglich ist. Dies kann auf Dritte übergehen und schränkt die künftige Nutzungsfreiheit des Grundstücks massiv ein. Dieses Risiko ist eine der bedeutendsten Besonderheiten bei der Bewertung von Tankstellenimmobilien und muss im Gutachten ausführlich gewürdigt werden.
Eigentümer- und Betreibermodelle
In der Praxis existieren verschiedene Betriebsformen:
- Mineralölkonzerne betreiben Tankstellen entweder mit eigenem Personal oder über Pachtmodelle. Letzteres ist die häufigste Konstellation in Deutschland.
- Agenturbetriebe verfügen über Eigentumsanteile und führen die Tankstelle auf eigene Rechnung.
- Freie Tankstellen gehören mittelständischen Eigentümern, die entweder selbst aktiv sind oder verpachten.
- Kraftstoffhändler betreiben mehrere Standorte im Franchisesystem.
Für die Bewertung ist die Unterscheidung zwischen Eigentum am Grundstück, an den baulichen Anlagen und an der Betriebsausstattung von zentraler Bedeutung. Häufig stellt der Grundstückseigentümer eine vollausgestattete Tankstelle bereit, während der Pächter für den operativen Betrieb verantwortlich ist.
Bewertungsverfahren für Tankstellenimmobilien
Pachtwertverfahren als Standardmethode
Zur Ermittlung des Verkehrswertes gemäß § 194 BauGB kommt bei Tankstellen in der Regel das Pachtwertverfahren zum Einsatz. Diese Methode basiert auf dem Ertragswertverfahren und ist typisch für Betreiberimmobilien.
Das Verfahren gliedert sich in folgende Schritte:
- Ermittlung des Jahresrohertrags (Gesamtpacht)
- Abzug der Bewirtschaftungskosten
- Bestimmung der Restnutzungsdauer
- Ermittlung des Bodenwertes
- Berechnung der Bodenwertpachtverzinsung
- Ermittlung des Reinertrags der baulichen Anlagen
- Berechnung des Ertragswertes mittels Vervielfältiger
- Berücksichtigung objektspezifischer Merkmale
- Ermittlung des endgültigen Pachtwerts
Nutzungsdauer und Modernisierungszyklen
Die Festlegung der Nutzungsdauer ist bei Tankstellen besonders komplex. Während die Beleihungswertermittlungsverordnung eine Gesamtnutzungsdauer von 30 Jahren ansetzt, zeigt die Praxis kürzere Zyklen.
Gebäude und Überdachung erreichen durchaus 30 Jahre und mehr. Die Zapftechnik hingegen wird häufig bereits nach 8 bis 12 Jahren erneuert, da neuere Systeme bessere Kompatibilität mit modernen Kassensystemen bieten und ältere Anlagen oft keine Ersatzteilversorgung mehr gewährleisten.
In der gutachterlichen Praxis wird daher meist eine wirtschaftliche Gesamtnutzungsdauer von 20 Jahren angesetzt. Der kürzere Modernisierungszyklus der Zapftechnik wird durch ein erhöhtes Modernisierungsrisiko in den Bewirtschaftungskosten berücksichtigt.
Bewirtschaftungskosten im Detail
Die Bewirtschaftungskosten setzen sich zusammen aus:
- Instandhaltungskosten: Für Gebäudeflächen werden 5 bis 7 Euro pro Quadratmeter angesetzt, für Freiflächen etwa 1 Euro pro Quadratmeter.
- Modernisierungsrisiko: Aufgrund der kurzen Erneuerungszyklen bei Zapfanlagen wird ein erhöhtes Risiko von 7 bis 12 Prozent des Jahresrohertrags kalkuliert. Diese Pauschale berücksichtigt, dass Zapftechnik typischerweise nach 8 bis 12 Jahren erneuert werden muss. Alternativ kann eine lineare Rücklagenbildung auf Basis der Wiederbeschaffungskosten erfolgen, wobei pro Zapfsäule mit Investitionen von 25.000 bis 30.000 Euro zu rechnen ist.
- Mietausfallwagnis: Bei gewerblicher Nutzung werden üblicherweise 4 Prozent des Jahresrohertrags angesetzt.
- Verwaltungskosten: Pauschal 2 Prozent des Jahresrohertrags decken die laufende Verwaltung ab.
Besonderheiten bei der Bodenwertermittlung
Der Bodenwert von Tankstellengrundstücken unterliegt besonderen Einflüssen. Einerseits können hochfrequentierte Lagen hohe Bodenrichtwerte rechtfertigen. Andererseits mindern potenzielle Altlasten durch ausgelaufene Kraftstoffe den Wert erheblich.
Moderne Tankstellen mit dauerhaft elastischer Verfugung und Auffangsystemen reduzieren das Kontaminationsrisiko deutlich. Dennoch sollte bei älteren Anlagen stets eine umweltgutachterliche Untersuchung erfolgen. Sanierungskosten für kontaminierte Böden können mehrere hunderttausend Euro betragen und müssen wertmindernd berücksichtigt werden.
Praxisbeispiel: Wertermittlung einer Straßentankstelle
Zur Veranschaulichung bewerten wir eine Tankstelle mit folgenden Eckdaten:
Objektbeschreibung
Das 3.500 Quadratmeter große Grundstück liegt rechtsseitig an einer vierspurigen Bundesstraße mit durchschnittlich 18.000 Fahrzeugen täglich. Die Tankstelle verfügt über fünf Zapfsäulen (zehn Zapfpositionen) auf 280 Quadratmetern überdachter Fläche.
Das Hauptgebäude umfasst:
- Verkaufsfläche: 120 m²
- Lager: 30 m²
- Büro und Sozialräume: 25 m²
- Sanitäranlagen: 10 m²
- Bistro-Bereich: 35 m²
Die Waschanlage beansprucht zusätzlich 80 Quadratmeter. Die Gesamtnutzfläche beträgt somit 300 Quadratmeter. Die Tankstelle ist seit acht Jahren in Betrieb. Eine Mineralölgesellschaft betreibt das Objekt als Pächterin.
Ermittlung der Erträge
Die durchschnittlichen Jahreserträge der vergangenen drei Jahre:
- Pacht aus Kraftstoffverkauf: 115.000 Euro
- Pacht aus Shop-Betrieb: 55.000 Euro
- Pacht aus Waschanlage: 12.000 Euro
Jahresrohertrag gesamt: 182.000 Euro
Berechnung der Bewirtschaftungskosten
- Instandhaltung Gebäude: 300 m² × 6 Euro/m² = 1.800 Euro
- Instandhaltung Freifläche: 3.200 m² × 1 Euro/m² = 3.200 Euro
- Modernisierungsrisiko (pauschal, 7,7 % des Jahresrohertrags): 14.000 Euro Mietausfallwagnis: 182.000 Euro × 4 % = 7.280 Euro
- Verwaltungskosten: 182.000 Euro × 2 % = 3.640 Euro
- Bewirtschaftungskosten gesamt: 29.920 Euro
Hinweis: Das Modernisierungsrisiko wurde hier als Pauschale angesetzt. Alternativ könnte eine lineare Rücklage kalkuliert werden (beispielsweise 5 Säulen × 28.000 Euro Wiederbeschaffungskosten / 10 Jahre wirtschaftliche Restnutzungsdauer der Zapftechnik = 14.000 Euro jährlich).
Wertermittlung
- Jahresreinertrag: 182.000 Euro – 29.920 Euro = 152.080 Euro
- Bodenwert: 3.500 m² × 135 Euro/m² = 472.500 Euro
- Liegenschaftszins: 7,0 Prozent
Der Liegenschaftszins ist zwingend aus aktuellen Marktdaten von Gutachterausschüssen oder vergleichbaren Transaktionen abzuleiten. Je nach Region, Standortqualität und insbesondere Bonität sowie Vertragslaufzeit des Pächters kann der Zinssatz deutlich variieren. Bei langfristigen Pachtverträgen mit bonitätsstarken Mineralölkonzernen können auch niedrigere Werte (5,0 bis 6,5 Prozent) gerechtfertigt sein, während freie Tankstellen oder unsichere Pachtverhältnisse höhere Risikoaufschläge (8,0 Prozent und mehr) erfordern. Die hier verwendeten 7,0 Prozent dienen als marktüblicher Beispielwert für das Jahr 2025.
Bodenwertpachtverzinsung: 472.500 Euro × 7,0 % = 33.075 Euro
Reinertrag der baulichen Anlagen: 152.080 Euro – 33.075 Euro = 119.005 Euro
Restnutzungsdauer: 12 Jahre (bei 20 Jahren Gesamtnutzungsdauer und 8 Jahren Alter)
Vervielfältiger (bei 7,0 % Zins und 12 Jahren RND gemäß Anlage 21 BewG): 7,94
Ertragswert der baulichen Anlagen: 119.005 Euro × 7,94 = 945.100 Euro
Vorläufiger Ertragswert: 945.100 Euro + 472.500 Euro = 1.417.600 Euro
Da keine wesentlichen Bodenkontaminationen vorliegen und keine besonderen Zu- oder Abschläge erforderlich sind, entspricht der endgültige Pachtwert dem vorläufigen Ertrag.
Verkehrswert der Tankstelle: 1.418.000 Euro (gerundet)
Besondere Herausforderungen bei der Bewertung
Umweltrechtliche Aspekte
Die potenzielle Kontamination des Bodens stellt bei Tankstellen ein erhebliches Bewertungsrisiko dar. Selbst bei modernen Anlagen mit Schutzvorrichtungen kann es über Jahrzehnte zu Leckagen kommen. Die Sanierung belasteter Böden ist nicht nur kostspielig, sondern kann auch zu Betriebsunterbrechungen führen.
Bei der Bewertung muss daher geprüft werden:
- Liegen Umweltgutachten vor?
- Gibt es historische Hinweise auf Leckagen?
- Entsprechen die Schutzeinrichtungen dem aktuellen Stand der Technik?
- Bestehen Altlasten aus früheren Betriebsphasen?
Sanierungskosten müssen im Gutachten berücksichtigt und vom ermittelten Wert abgezogen werden.
Marktentwicklung und Zukunftsperspektiven
Die Transformation der Mobilität beeinflusst Tankstellen erheblich. Der Rückgang fossiler Kraftstoffe erfordert Investitionen in Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge. Auch Wasserstoff-Tankstellen werden künftig relevanter.
Diese Umstellung birgt Chancen und Risiken: Moderne, zukunftsfähig ausgestattete Standorte können von der Transformation profitieren. Veraltete Konzepte ohne Anpassungspotenzial verlieren hingegen an Wert.
Der dominierende wertbeeinflussende Faktor im Jahr 2025 ist die Verfügbarkeit leistungsfähiger Netzanschlüsse. Die niedrige Anschlussleistung vieler Bestandstankstellen stellt ein erhebliches Investitionsrisiko dar. Ultraschnellladestationen (High Power Charging, HPC) mit Leistungen von 150 bis 350 Kilowatt erfordern Starkstromanschlüsse, die bei älteren Tankstellen oft nicht vorhanden sind. Die Nachrüstung kann Investitionen im sechsstelligen Bereich erfordern.
Bei der Bewertung sollte daher die Transformationsfähigkeit des Standorts bewertet werden:
- Ist ausreichend Platz für Ladestationen vorhanden?
- Verfügt das Grundstück über einen leistungsfähigen Stromanschluss oder kann dieser wirtschaftlich nachgerüstet werden?
- Lässt die Lage einen Umbau zum Mobilitätshub mit mehreren Ladegeschwindigkeiten zu?
- Sind Wartezeiten durch gastronomische oder Shop-Angebote überbrückbar?
Die zukünftige Pachtfähigkeit und damit der Ertragswert einer Tankstelle hängen maßgeblich von der Möglichkeit ab, HPC-Ladestationen zu installieren. Ohne diese Zukunftsfähigkeit drohen erhebliche Wertminderungen.
Pachtverhältnisse und Vertragslaufzeiten
Die Stabilität der Pachtverhältnisse beeinflusst den Wert maßgeblich. Langfristige Pachtverträge mit solventen Mineralölkonzernen bieten Sicherheit und rechtfertigen niedrigere Risikoaufschläge. Kurze Restlaufzeiten oder unsichere Vertragspartner erhöhen hingegen das Investitionsrisiko.
Zu prüfen sind:
- Vertragslaufzeit und Verlängerungsoptionen
- Bonitätseinstufung des Pächters
- Indexierung der Pachtzahlungen
- Kündigungsfristen und -bedingungen
- Investitionsverpflichtungen und deren Umlage
Zusammenfassend: Komplexe Bewertung erfordert Sachverstand
Die Wertermittlung von Tankstellen unterscheidet sich deutlich von der Bewertung klassischer Gewerbeimmobilien. Die Kombination aus verschiedenen Geschäftsfeldern, kurzen Modernisierungszyklen, umweltrechtlichen Risiken und dem besonderen Tankstellenrecht erfordert fundierte Fachkenntnisse.
Das Pachtwertverfahren bietet einen soliden Rahmen für die Bewertung, muss jedoch an die individuellen Gegebenheiten angepasst werden. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Bodenbewertung unter Berücksichtigung möglicher Kontaminationen sowie die realistische Einschätzung der Restnutzungsdauer.
Für Eigentümer, Investoren und Kreditinstitute ist ein fundiertes Verkehrswertgutachten durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen unverzichtbar. Nur so lassen sich die komplexen Einflussfaktoren sachgerecht erfassen und der tatsächliche Marktwert zuverlässig ermitteln.
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